Ansprache einer Kerze
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Ansprache einer Kerze

An­spra­che einer Kerze

Ihr habt mich angezündet und schaut - ein wenig nachdenklich oder versonnen - in mein Licht. Vielleicht freut Ihr euch auch ein bisschen dabei. Ich jedenfalls, freue mich, dass ich brenne.

Wenn ich nicht brennen würde, läge ich in einem Karton mit anderen, die auch nicht brennen. In so einem Karton haben wir Kerzen überhaupt keinen Sinn. Da liegen wir nur herum. Einen Sinn habe ich nur, wenn ich brenne.

Und jetzt brenne ich. Aber, seit ich brenne, bin ich schon ein kleines bisschen kürzer geworden, was auf der einen Seite schade ist, denn ich kann mir ausrechnen, wann ich so kurz bin, dass ich nur noch ein kleines Stümpchen bin.

Aber, so ist das; es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich bleibe ganz und unversehert im Karton, dann werde ich nicht kürzer, dann geht mir überhaupt nichts ab - aber dann weiss ich nicht, was ich eigentlich soll. Oder ich gebe Licht und Wärme, dann weiss ich, wofür ich da bin, dann muss ich aber etwas geben dafür. Etwas von mir selbst, mich selber. Das ist schöner als kalt und sinnlos im Karton zu liegen.

So ist das auch bei euch Menschen, genau so!

Entweder ihr bleibt für euch, dann passiert euch nichts, dann geht euch nichts ab. Aber dann wisst ihr auch eigentlich nicht so recht, welchen Sinn euer Dasein hat. Dann seid ihr wie die Kerzen im Karton. Oder ihr gebt Licht und Wärme. Dann habt ihr einen Sinn. Dann freuen sich die Menschen, dass es euch gib. Dann seid ihr nicht vergebens da. Aber dafür müsst ihr etwas geben: von euch selber, vor allem, was in euch lebendig ist: von eurer Freude, eurer Herzlichkeit, von eurer Treue. Auch  von eurem Lachen, eurer Traurigkeit, von euren Ängsten, von euren Sehnsüchten, von allem, was in euch lebendig ist.

Ihr braucht keine Angst zu haben, wenn ihr dabei kürzer werdet. Das ist nur äusserlich. Innen werdet ihr immer heller.

Denkt ruhig daran, wenn ihr in eine brennende Kerze seht, denn solch eine Kerze seid ihr selber.

Ich bin nur eine kleine, einzelne Kerze. Wenn ich allein brenne, ist mein Licht nicht gross und die Wärme, die ich gebe, ist gering. Ich allein, das ist nicht viel. Aber mit anderen zusammen, ist das Licht gross und die Wärme stark.

Bei euch Menschen ist das genau so. Einzeln für euch genommen, ist euer Licht nicht gewaltig und die Wärme klein. Aber zusammen mit anderen seid ihr viel. Licht ist ansteckend schön.


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